Reisen
|
Häuptlingstour über die Route 66 in LA
|
Winnetou im Friesenland
Ostfriesland liegt
ziemlich weit im Norden, direkt an der Nordseeküste.
Die Gegend ist flach wie ein Brett und bei gutem Wetter kann man
Helgoland sehen. Dass der Landstrich jedoch viel mehr zu bieten hat,
lässt sich geschichtsträchtig bei der "Häuptlingstour"
erfahren.
Text: Winni Scheibe
Fotos: Scheibe, Team-Route 66 LA, Archiv Köhler
|
Galerieholländermühle am Fehnkanal bei Westgroßefehn
|
Moin! Die Begrüßung ist herzlich. Es ist kurz nach 20 Uhr, woanders
hätte man längst "guten Abend" gesagt. In Ostfriesland
ticken die Uhren aber anders. Moin sagt man hier nämlich zu jeder
Tageszeit und bei fast jeder Gelegenheit. Ansonsten gibt es allerdings
kaum Sprachbarrieren, Ostfriesen sprechen Deutsch. Heute jedenfalls.
Früher, im Mittelalter und davor, war die Landessprache Friesisch oder
Latein und mit dem Rest der Welt hatte man wenig am Hut. Das Küstenvolk
war selbständig und selbstbewusst, liebte seine Freiheit und das Meer,
auf der Nordsee waren sie zu Hause. |
Ostfriese mit Leib und Seele:
Kalle Altmann
|
Kalle Altmann, ehemaliger Kunstlehrer, ausgewiesener Ostfriesenkenner
und bekennender Biker lässt wissen:
"Alle Friesen waren von Geburt an frei. Fremdherrschaft von
Kaisern, Königen, Fürsten und Grafen lehnten sie kategorisch ab.
Rittersleute, die hoch zu Ross in Rüstung daher kamen, waren für sie
der Inbegriff von Unterdrückung. In keiner anderen Region des alten
Europas waren schon damals die Grundwerte einer Demokratie so
ausgeprägt. Jeder Ort hatte je nach Größe einen oder mehrere
Häuptlinge. Die Redjeven wurden für ein Jahr gewählt, sie waren
Richter, Verwaltungschef und vieles mehr in einer Person."
|
Häuptlingstour über
die Route 66 LA
|
Die Überfahrt bei Amdorf ist die schmalste Straßenbrücke in Deutschland
|
Die Häuptlingstour, das wird einem schnell klar, ist eine
geschichtliche Erkundungsfahrt auf den Spuren der damaligen Dorfbosse.
Doch Route 66 LA in Ostfriesland? Kalle lacht und verrät mit einem
verschmitzten Grinsen: "Die amerikanische Route 66 kennt eigentlich
jeder. Dieser legendäre Highway wird mit unendlicher Weite und
grenzenloser Freiheit verbunden. Genau das bieten wir unseren Gästen in
Ostfriesland, jedenfalls ein Stück davon, und LA ist nichts anderes als
das Kürzel für Landkreis Aurich. Wer von Ostfriesland spricht, meint
meist die Nordseeküste oder die Ostfriesischen Inseln. Dabei haben wir
viel mehr im Angebot. Auf der historischen Route 66 in LA stößt man
fast jeden Meter auf die Spuren der friesischen Häuptlinge, aber auch
auf Geschichten und Mythen der Strand- und Seeräuber, allen vorweg des
Sagen umwobenen Freibeuters Klaus Störtebeker."
|
Upstalsboom bei Aurich
|
Herz und Mittelpunkt von Ostfriesland war und ist Aurich. Als vom 9. bis
ins 13. Jahrhundert das politische, gesellschaftliche und kulturelle
Leben von den Redjeven, dem besagten Häuptlings-Kult geprägt wurde,
trafen sich die Vormänner einmal im Jahr am Dienstag nach Pfingsten zum
großen Tam-Tam am Upstalsboom bei Rahe nahe Aurich.
Und das waren nicht wenige. Die Küstenregion hatte sich zu einem
"Sieben Seelande" - Bund zusammengeschlossen, denen jeweils 12
bis 16 freie Landgemeinden angehörten. Kamen alle Redjeven zusammen,
tagten gut 100 Häuptlinge. Zur Begrüßung wurde ihnen ein Becher Bier
gereicht und zugerufen "Eala Fraya Fresena" (Seid gegrüßt
Freie Friesen) und sie antworteten "Lever dood as slaav"
(Lieber tot als Sklave). Die Abgesandten, in der Regel wohlhabende
Bauern, sprachen Recht, berieten und fassten demokratisch Beschlüsse,
die der Gemeinschaft als Gesetze galten. Diese mittelalterliche
Thingstätte ist erstes Ziel der geführten Motorrad-Rundreise, die in
Aurich am Ringhotel Köhlers Forsthaus startet und nach rund 250 km
Fahrstrecke auch hier wieder endet.
|
Brücke über den Fehnkanal
|
Wer in Ostfriesland von einem zum anderen Ort schnurgerade Straßen
erwartet, wird schnell eines Besseren belehrt. Im restlichen Deutschland
würde man die von Tourguide Kalle zum Teil bevorzugte Strecke als gut
befestigte landwirtschaftliche Nutzpfade bezeichnen, die in der Regel
bekanntlich für den öffentlichen Verkehr gesperrt sind. In
Ostfriesland sind es legale Wege, die mal verwinkelt, mal geschwungen
vorbei an Wiesen und Feldern, über schmale Brücken oder durch prachtvolle Baumalleen führen.
Ein hohes Tempo ist kaum möglich, die Vorwärtsbewegung liegt in der
Beschaulichkeit. Automatisch bekommt man viel von der Natur und der
Landschaft mit. Typisch für das weite Land sind die saftigen Wiesen mit
den schwarzbunten Kühen, bäuerliche Betriebe bestimmen das Bild. Und
dann führt die Strecke immer wieder vorbei an Gräben, Kanälen und
Wasserläufen.
|
Erdholländer Mühle in Werdum an der Nordseeküste
Ostfriesland:
"Plattes - bäuerliches Land"
|
Die Seedeiche sind mit der chinesischen Mauer vergleichbar
|
Historischer Hafen in Leer
Hafen bei Dornumersiel an der Nordsee
|
Das Leben in der Küstenregion war für die Ostfriesen vor über 1000
Jahren hart und entbehrungsreich. Die Nordsee war unberechenbar,
besonders Sturmfluten sorgten immer wieder für verheerende
Überschwemmungen. Das Volk, das sowieso schon zusammenhielt wie Pech
und Schwefel, beschloss entlang der Küste einen Deich zu bauen. Aus der
Idee wurde ein Mammutwerk, gut 200 Jahre bis ins 13. Jahrhundert plagten
sich Alt und Jung mit Spaten, Gabeln und Tragbahre um den festen
Schutzwall aufzuschütten. Eine enorme Leistung, die mit dem Bau der
chinesischen Mauer vergleichbar ist. Damit das Binnenwasser weiterhin in
das offene Meer abfließen konnte, erfanden die cleveren Baumeister
Siele mit Toren im Deich.
|
Geschichtskundler: Kalle Altmann
|
Der nächste Kraftakt war die Landnutzung der weitläufigen Moorzonen im
hinteren Festland. Mit einem ausgeklügelten Graben- und Kanalsystem
legte man die Sumpfgebiete trocken. Wie ein Spinnwebennetz zieht sich
dieses Entwässerungslabyrinth durchs Land. Ein Teil der Wasserläufe
wird gleichzeitig von der Schifffahrt genutzt, immer wieder stößt man
so auf imposante Zugbrücken.
"Seefahrt, Handel, Landwirtschaft und Viehzucht machten die
Ostfriesen zu einem wohlhabenden Volk. Die festen Regeln in der
Häuptlings-Ära untersagten aber das Bauen von massiven Steinhäusern.
Und so kam es, dass vom ersparten Geld im 12. und 13. Jahrhundert ein
wahrer Kirchenbau-Boom einsetzte. Selbst in den kleinsten Gemeinden
errichteten die Bewohner ein Gotteshaus. Die robusten Kirchen, oft mit
Wehrtürmen ausgestattet, dienten den Häuptlingsfamilien und anderen
Dorfbewohnern gleichzeitig als Festungen", lässt Experte Kalle
Altmann wissen.
|
Die Legende Klaus Störtebeker
|
Ein bedeutender Wallfahrtsort mit der größten Kirche nördlich von
Osnabrück war damals Marienhafe. Heute tief im Festland gelegen, ließ
sich die Ansiedlung direkt von der Nordsee aus durch Schiffe mit wenig
Tiefgang ansteuern. Der wohl berühmteste wie auch berüchtigtste
Kapitän, der regelmäßig im Hafen anlegte, war von 1396 bis 1400 Klaus
Störtebeker. Der gefürchtete Seeräuber und seine Crew hatten Freunde
wie Feinde. Die Hanse jagte sie, wollte ihre Köpfe. Bei den
Marienhafener und besonders bei den ostfriesischen Häuptlingen genossen
die Freibeuter jedoch hohes Ansehen. Die Piraten nannten sich selbst
Likedeeler, was so viel bedeutet wie Gleichteiler. Als Chef des
Unternehmens teilte Klaus Störtebeker ähnlich wie ein Robin Hood zur
hohen See seine Beute nämlich zu gleichen Teilen mit den anderen auf.
Diese Geschäftsbeziehungen sprachen sich selbstverständlich herum. Um
1400 schickte die Hanse eine übermächtige Flotte in die Ems, besetzte
Emden sowie einen Großteil der Küstenregion und zwang die Häuptlinge
den Seepiraten ab sofort kein Versteck mehr zu gewähren. Für die
Freibeuter kam es noch viel dicker. Ein Jahr später schnappte sich die
Hanse die verwegenen Seemänner vor Helgoland und am 20. Oktober 1401
war Klaus Störtebeker und jeder seiner Likedeeler um einen Kopf
kürzer. Glaubt man jedoch der Sage, schritt der tapfere Störtebeker
gleich nach der Hinrichtung kopflos und aufrecht an seinen Mannen vorbei
und bescherte ihnen damit die Freiheit. Wie auch immer, kein Seefahrer
ist so nachhaltig in die Geschichte eingegangen wie der furchtlose Klaus
Störtekeker.
|
Ursprüngliche Häuptlingskirche in Resterhafe
Barockes Wasserschloss zu Dornum
|
Is Tee time
Zugbrücke bei Westgroßefehn
|
Häuptlinge, Piraten,
Deicharchitekten und Moorpioniere sind die eine Seite der Route 66 LA
Tour. Windmühlen, Burgen, Schlösser und traditionelles Teetrinken die
andere Seite. Ähnlich wie die Engländer sind nämlich auch die
Ostfriesen leidenschaftliche Tee-Trinker. Im Vergleich zum restlichen
Deutschland, hier wird pro Kopf jährlich lediglich nur um 200 Gramm Tee
konsumiert, kommt das Küstenvolk auf stolze sechs Pfund Tee pro Person
im Jahr.
Im Norden hat Teetrinken
viel mit Gemütlichkeit zu tun. Am liebsten im Kreis der Familie, mit
Freunden oder Bekannten oder wenn Besuch kommt. Dabei wird geklönt,
gequasselt und philosophiert. Denn Teetrinken ist längst nicht
Teetrinken. Für die Ostfriesen ist es wie eine Zeremonie und dabei wird
ein genaues Ritual eingehalten.
Bereits die Zubereitung
ist eine Kunst für sich. Das Mischungsverhältnis Teeblätter mit
heißem Wasser sowie die vier bis fünf Minuten Ziehzeit will genau
beachtet sein. In die Tasse kommen ein oder zwei "Kluntje"
(Kandiszucker), dann wird knisternd der Tee eingeschenkt. Die Sahne wird
mit einem Löffel oder noch besser mit einem kleinen Schöpflöffel
behutsam oben auf den Tee aufgetragen, aber nicht umgerührt. Das
Schlagobers sinkt langsam auf den Tassengrund, steigt anschließend
bedächtig wieder nach oben, der Kandis bekommt Zeit sich aufzulösen.
Beim Trinken genießt der Ostfriese somit drei Geschmacksstufen, erst
das Obers, dann den aromatischen Tee und zum Schluss den Süßen "Kluntje".
Und das alles braucht natürlich seine Zeit.
|
Hafen von Dornumersiel
Das Smoky kostet an der Nordseeküste € 1,50
|
Nach der genussvollen Teepause ankert die Reisegruppe um Tourguide Kalle
Altmann zum vorletzten Stopp im Hafen von Dornumersiel. Wie es sich für
die Nordseeküste gehört, bläst ein ordentlicher Wind, dafür sind die
Temperaturen mild und klare Sicht lassen vor der Küste die
Ostfriesischen Inseln Baltrum und Langeoog erkennen. Im Hafen ist wenig
los, anstehen vor der Fischbude braucht keiner. Das Smoky
(Matjesbrötchen) kostet 1,50 Euro, es wird aus der Hand gegessen, auch
das gehört zu einer echten Ostfrieslandtour.
|
Das Ostfriesen-Quartett
|
Häuptlings-Team:
Ingrid Hofmeister, Kalle Altmann, Frank Köhler, Joe Rahn
(Foto: Team-Route 66 LA)
|
Ganz oben an der Nordsee halten die Küstenbewohner fest zusammen. Und
diese Tradition verpflichtet. Besonders dann, wenn ein paar Leute etwas
gemeinsam aushecken wollen. Zum Beispiel Motorradfahrern bei einer
Rundfahrt, beim Besichtigen von Kulturstätten und beim Klönschnacken
ihre ostfriesische Heimat ein Stück näher zu bringen.
Das "Ostfriesen-Quartett" sind Ingrid Hofmeister, ihres
Zeichens professionelle PR- und Marketing-Expertin, Joe Rahn, Grafiker
und leidenschaftlicher Cartoon-Zeichner, Frank Köhler, engagierter
Gastronom des Ringhotel Köhlers Forsthaus sowie Kalle Altmann, ausgewiesener
Ostfriesenkenner, brillanter Reiseführer und bekennender Biker. Und
weil eben nichts dem Zufall überlassen bleibt, kümmert sich Ingrid
Hofmeister um
die Vermarktung der Route 66 LA Tour, Joe Rahn sorgt für die pfiffige
Darstellung, Frank Köhler verwöhnt seine Gäste im Hotel und Kalle
Altmann führt die
Biker durch das Land der Häuptlinge und Seefahrer. Und weil das Team so
gut eingespielt ist, fühlen sich die Motorradfahrer sofort wie zu
Hause.
|
Reisetipps
|